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这座城市建立了德国第一个女同性恋公墓 Zwischen Kurt und Cosmo

塔妮亚·杜克斯 北京德国文化中心歌德学院 2023-11-03

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露琪亚·布劳恩在普伦茨劳贝格雷泽公园 | 摄影:苏珊娜·施莱尔


早在东德时期,柏林普伦茨劳贝格(Prenzlauer Berg)城区中的温斯区域就是艺术家、演员、作家和各种特立独行者向往的乐园。笔者兼任主持人及电影导演的露琪亚·布劳恩一起漫步温斯区,一路上我们遇到了不少婴儿车,探访了一处不同寻常的墓园,走进“拉尔夫蛋糕坊”,还谈到了关于公交车司机、共产主义者和乡土情结。


在德国,任何一位文学爱好者都不会对露琪亚·布劳恩(Luzia Braun)这个名字感到陌生。她是一位日耳曼文学专家,负责ZDF电视台经典节目“文学四重奏”的改版工作,在该电视台主持“观点”(aspekte)栏目已有十八年时间,后者是德国最重要的文化类电视节目。在历届法兰克福书展上,她坐在著名的“蓝沙发”上,向观众介绍当季书展最有趣的作家;一如既往,今年她将担任在法兰克福书展举行“德国图书奖”颁奖礼的评委。除了从事文学相关的工作,布劳恩同时还是一位电影导演,早年曾在一所监狱给外籍囚犯教授德语。在我面前,则是一位无话不谈的对话伙伴。


ZDF电视台经典节目“文学四重奏” | © emotiongraphics.es


露琪亚·布劳恩在2014年莱比锡书展 | © wikipedia.org


今天,露琪亚·布劳恩带我认识了柏林城里她最喜爱的地方——温斯区(Wins-Kiez),一个生机勃勃,遍布小商铺和咖啡馆的街区,位于普伦茨劳贝格南区温斯大街周边一带。普伦茨劳贝格是柏林人气最旺的一个地区,其中一个原因是因为这里有着历经战争而保存完好的旧建筑风貌。这个面积不足十一平方公里的区域聚居了163,000人口,如此居住密度在柏林可谓绝无仅有。温斯区早在东德时期就是艺术家、演员、作家和特立独行者向往的乐园。这里曾是喜剧演员兼导演汉斯·罗森塔尔(Hans Rosenthal,1925—1987)生活的地方,如今也不乏大名鼎鼎的住户,如摄影家赫尔佳·帕里斯(Helga Paris),演员宾诺·弗尔曼(Benno Fürmann),作家克里斯多夫·彼得斯(Christoph Peters)、英戈·舒尔策(Ingo Schulze)和乌里克·德莱斯纳(Ulrike Draesner)等等。上世纪六十年代在这里出生的影评家兼主持人克努特·艾斯特尔曼(Knut Elstermann)甚至专门写了一本名叫《我的温斯街》的书(be.bra出版社,2013),专门讲述那些居住在温斯街的人和他们的故事。十二年前,在米兰和美因茨之间奔波辗转多年的露琪亚·布劳恩最终选择在这里落脚。


普伦茨劳贝格区,柏林 | © wikipedia.org


《我的温斯街》,2013 | © amazon.de


“当时我们运气不错”,布劳恩和我一边沿着伊曼努教堂大街疾步前行,一边回忆,“我和丈夫2000年来到柏林的时候,这里的很多房产已经卖掉了;如果放在今天的话,我们根本负担不起现在住的那套房子。”所幸的是,这里并不是柯勒惠支广场(Kollwitzplatz)那样寸土寸金的时尚区。“这一带仍然保持着新旧混杂的面貌。”布劳恩一边说,一边步履坚定地朝着位于街角的格奥尔根-帕罗西亚教区公墓(Georgen-Parochial Friedhof)走去。根据一项由城市规划师委托的调查,温斯街百分之八十的住户都有东德背景,这和那种不绝于耳的所谓“住在此地的都是西德阔佬”的说法大相径庭。我们走过一爿不大的书店,一间老旧的甜品店(“拉尔夫蛋糕坊”),里面各式各样蛋糕的命名,都有一个类似“安德烈”“库尔特”“柯尔斯汀”等爷爷奶奶辈的名字,我们另外还路过了几家小吃店。这里几乎看不到大商场或银行。在我们前面,一位身材矮小、头发灰白的老妇人正推着一辆破旧的购物小推车蹒跚而行;在我们身后,一辆里面坐着双胞胎的婴儿车发出吱嘎吱嘎的声响;三个在街头闲荡的黑衣年轻人自顾自地沉浸在隆隆作响的音乐声里,和我们擦肩而过。


柯勒惠支广场(Kollwitzplatz)今昔 | © wikipedia.org


突如其来的寂静瞬间包围了我们。高大的杨树如同屏障一般,隔绝了都市的喧嚣。“我经常来这里放松心情,排解工作带来的压力。”露琪亚·布劳恩说。就在前一秒钟我们还夹在婴儿车和购物车中间左右腾挪,真是难以置信。公墓和一个废弃了的公园连在一起。哪个作为首都的城市会像柏林这样,在人口稠密的繁华闹市拥有一片仿佛遗落在城市地图和时间之外的奇异绿洲?


不仅如此,墓园里更有着前所未见的新奇:露琪亚·布劳恩带我参观了德国的第一个女同性恋公墓,这是一片和周围隔开的独立区域,里面安葬着清一色的女同性恋者——一个自造的隔离区?“这样做的目的不是为了隔离,而是为了引起关注。”公墓的承办组织,萨福基金会(SAPPhO Stiftung)的一位代表介绍,“我们不想(再)掩饰自己的身份,生前如此,死后也一样,所以在我们这里举办的葬礼都不是匿名的。”而且重要的是,安葬在这里的死者更认同一种自主选择的亲密关系,“而不像异性恋那样,相互之间以血缘为纽带。”蜗牛形状的小径象征着“生命的轮回”。这里的墓并不算多,但我作为一个参观者不禁好奇,长眠于此的女人——大多生于一百年前——究竟度过了怎样的一生,她们如何捱过了纳粹时期和阴霾密布的五十年代?


除了辟有女同性恋公墓之外,这里还是一个充满故事的墓地:露琪亚·布劳恩可以从一处墓碑径直走到下一处,一边如数家珍地讲述那些轶事。从一些坟墓不同寻常的外观上,依稀可见墓主人生前怪异奇特的品味;儿童墓地点缀着一些流俗的饰品,以营造一种催人泪下的哀悼氛围。露琪亚·布劳恩示意我注意一块墓碑上的日期,这里是一户人家的合葬,从日期上看,他们很可能是在第三帝国行将覆灭前的最后几天自杀的。“有一次在墓地散步之后,我专门去查阅了有关这家人的资料,他们的确是顽冥不化的纳粹分子。”她告诉我说。距离这里不到百米的地方,埋葬了一位昔日恩斯特·台尔曼(Ernst Thälmann)的追随者,台尔曼生前曾任德国共产党主席,1944年在布亨瓦尔特集中营遇害。“一些老党员会隔三差五地聚在这里,高唱‘统一战线之歌’,”露琪亚说。一个穿着醒目的橙色运动服的大个子从我们身旁大步流星地跑了过去。全然没有对死者的哀悼之情,或是丝毫的庄重肃穆。典型的柏林风格。 


恩斯特·台尔曼纪念碑,柏林 | © wikipedia.org


令露琪亚·布劳恩每每印象深刻的,除了柏林人特有的那份无动于衷的淡漠之外,还有他们不时流露的机敏。“有一次在公车上,我看到一个年轻女人向司机问路,”露琪亚压低声音,“司机回答得很干脆:把我当导航啊!”说着她大笑起来,“反应可真快!”这位日耳曼学者还有一肚子趣闻轶事要讲。显然,她对同语言相关的一切都有着超强的记忆力,像演员那样活灵活现地复述对话内容。


接下来我们还要谈到柏林作为文学之都的一面。对露琪亚来说,除工作需要以外,充满生机与活力的文化氛围也是她搬来柏林定居的一个理由。“这里有一切的一切,低俗故事和严肃文化交相混杂,这就是我喜爱这里的原因。”露琪亚也喜欢四处游逛,她常常和丈夫一起走出家门,随意漫步街头。“在柏林仍然会有这样的事:突然间,已经落座的你发现自己正置身于某个后院里举行的朗诵会,或是酒馆里的一场音乐会。”


露琪亚·布劳恩来自梅斯基希(Messkirch),一个坐落于博登湖畔的巴登-符腾堡州南部小城。当然,她很早的时候就已逃离小城市的狭隘天地,去拥抱外面的大世界,当时的她去了意大利。一次班级出游让她第一次与罗马结缘,再后来又到比萨读了一年大学。上世纪七十年代,她所经历的意大利是一个比德国更无拘无束,更激进和开放的国家。抗议活动不只是大学生和市民子女的专属,那里的工人阶级也“有很高的政治热情”,女权主义正开展得如火如荼。八十年代后,露琪亚在德国学术交流中心DAAD申请到一个赴米兰大学任教的职位。五年后她开始投身新闻工作,定期飞往美因茨制作节目。意大利语已完全融入了她的血液,这个国度令她着迷:她为ZDF和WDR拍摄过多部关于意大利黑手党的纪录片,与佩特拉·莱斯基(Petra Reski)合作拍摄的《黑手党第一夫人:大佬的女人是如何夺权的》便是其中之一。尽管她并没有因为与黑社会打交道而落入险境,后来还是转向了其他题材。


当我们再次置身于熙熙攘攘的伊曼努教会大街时,这位定居柏林并钟情于此的世界主义者对我说,家乡对她来说首先意味着乡音,那就是梅斯基希一带的方言,轻柔的施瓦本口音。于是我有幸聆听了一堂关于博大精深的施瓦本方言的入门课,这时我才意识到自己之前是多么地孤陋寡闻,只知道所谓“施瓦本话”。她说,自己虽然身在大都市,却并没有那种仇视外乡人的心理——为什么会?


那么在柏林,她自己作为一名施瓦本人有没有遭遇“地图炮”?露琪亚·布劳恩笑了笑说,“从地理上讲,我首先是巴登人,因为梅斯基希属于巴登地区;其次,我自己在这里从没有遇到过针对施瓦本人的地域攻击。”对许多柏林人来说,“施瓦本人”只是对那些鼓吹城市士绅化和商业开发,企图以此来推高房价的人的一种形象说法。“ 柏林人所指的并不是‘施瓦本人’本身,而是‘有钱人’,他们有时是施瓦本人,更多时候则是来自其他地方的人。”柏林人的那种怨由和不满当然是可以理解的,她说。


一番兜兜转转之后,我们又重新回到了“拉尔夫蛋糕坊”,一个散发着旧时代气息的店铺,里面的装潢仿佛来自上世纪八十年代。“要不要带点蛋糕回去呢,”露琪亚·布劳恩自言自语。面对着各式各样的诱人甜点,我们两个犯了难,不知道是该选择“库尔特”“安德烈”还是“赫尔穆特”。就在这时,外面传来一位母亲呼唤孩子的声音:“柯西莫!”“卡洛塔!”——现今很时尚的名字。露琪亚·布劳恩笑着摇了摇头:“我真是太喜欢住在这里了。”


说完,她给自己挑了一块名叫“库尔特”的巧克力樱桃蛋糕。


原标题:《城市故事:柏林 与露琪亚·布劳恩一起穿越温斯区》

作者:塔妮亚·杜克斯(Tanja Dückers),1968年出生于德国西柏林, 是一位作家兼政治评论家。她的作品有小说《天体》、《一年中最长的一天》、《游戏区》、《豪森的房间》,杂文集《明天就去乌托邦》以及大量的诗歌集和儿童读物。她定期为德国时代周报在线以及德国广播电台撰写社会政治题材的文章。现与家人居住在柏林。

翻译: 史竞舟
版权:歌德学院(中国)



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Stadtgeschichte: Berlin

Zwischen Kurt und Cosmo – Mit Luzia Braun im Wins-Kiez


Luzia Braun am Leise- Park im Prenzlauer Berg | Foto: Susanne Schleyer


Der Wins-Kiez hat schon zu DDR-Zeiten Schriftstellerinnen, Schauspieler und Andersdenkende angezogen. Beim gemeinsamen Streifzug durch das Viertel mit der Moderatorin und Filmemacherin Luzia Braun begegnen wir vielen Kinderwagen, besuchen einen queeren Friedhof und „Ralf’s Torten Atelier“ und reden über Busfahrer, Kommunisten und Heimatgefühle.

Wenn man sich in Deutschland für Literatur interessiert, kommt man an Luzia Braun nicht vorbei. Die Germanistin ist für die Neuauflage des Klassikers „Das literarische Quartett“ (ZDF) zuständig und hat 18 Jahre lang „aspekte“ (ZDF) moderiert – die wichtigste Kultursendung im deutschen Fernsehen. Auf der Frankfurter Buchmesse stellt sie auf dem berühmten „Blauen Sofa“ die interessantesten Autoren der Saison vor. In diesem Jahr wird sie der Jury für den „Deutschen Buchpreis“ (Verleihung ebenfalls auf der Buchmesse in Frankfurt) angehören. Neben ihrer Beschäftigung mit Literatur ist Braun auch als Filmemacherin tätig. Früher hat sie mal Deutsch als Fremdsprache in einer Justizvollzugsanstalt gelehrt. Es gibt kein Thema, über das man sich nicht mit ihr unterhalten kann.


das Literarische Quartett | © emotiongraphics.es


Peter Wawerzinek und Luzia Braun Leipziger Buchmesse 2014 | © wikipedia.org


Heute zeigt mir Luzia Braun ihren Lieblingsort in Berlin: Den Wins-Kiez, ein sehr lebendiges, vom Einzelhandel und kleinen Cafés geprägtes Viertel rund um die Winsstraße im Süden des Stadtteils Prenzlauer Berg. Der Prenzlauer Berg ist einer der begehrtesten Stadtteile Berlins, unter anderem wegen der weitgehend im Krieg unzerstört gebliebenen Altbausubstanz. Hier leben auf knapp elf Quadratkilometern 163.000 Menschen – so dicht ist Berlin nirgendwo anders besiedelt. Das Wins-Viertel galt schon zu DDR-Zeiten als Anziehungspunkt für Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, Andersdenkende. Der Entertainer und Regisseur Hans Rosenthal (1925-1987) lebte dort, die Fotografin Helga Paris wohnt im Winskiez, ebenso der Schauspieler Benno Fürmann, die Schriftsteller Christoph Peters, Ingo Schulze und die Schriftstellerin Ulrike Draesner, um nur einige zu nennen. Der 1960 hier geborene Filmkritiker und Moderator Knut Elstermann widmete der Winsstraße - seinen Bewohnern und ihren Geschichten - ein ganzes Buch (Meine Winsstraße, be.bra Verlag 2013). Vor zwölf Jahren hat Luzia Braun, die zuvor viele Jahre zwischen Mailand und Mainz pendelte, hier ihr Zuhause gefunden.


Meine Winsstraße | © amazon.de


Stadtteil Prenzlauer Berg | © wikipedia.org


„Wir hatten Glück“, erinnert sich Braun jetzt, während wir die Immanuelkirchstraße entlanglaufen. „Als mein Mann und ich 2000 nach Berlin kamen, war schon viel aufgekauft worden – unsere Wohnung könnten wir uns heute in diesem Kiez gar nicht mehr leisten“. So teuer und schick wie am Kollwitzplatz sei es hier aber zum Glück nicht. „Die Gegend ist immer noch ziemlich gemischt“, sagt Braun, während sie festen Schrittes den um die Ecke gelegenen Georgen-Parochial-Friedhof ansteuert. Tatsächlich hatte eine von Stadtplanern in Auftrag gegebene Studie ergeben, dass 80 Prozent der Menschen, die in der Winsstraße leben, einen ostdeutschen Hintergrund haben, entgegen dem Klischee, das nur noch wohlhabende Westdeutsche hier leben würden. Wir laufen an einem kleinen Buchladen, einem urigen Tortenladen („Ralf’s Torten Atelier“), in dem die verschiedenen Kuchen und Torten „Andreas“, „Kurt“ oder „Kerstin“ heißen und einigen Imbissläden vorbei. Große Modehäuser, Bankfilialen – so etwas gibt es hier nicht. Vor uns stapft eine kleine grauhaarige Frau mit einem verschlissenen Einkaufstrolley, hinter uns quietscht ein Zwillingskinderwagen. An uns vorbei tigern drei schwarz gekleidete Jugendliche, in ihre sanft wummernde Musik versunken.


Kollwitzplatz im Jahr 2013 und 1979 | © wikipedia.org


Im nächsten Moment umgibt uns Stille. Hohe Pappeln schirmen uns vom städtischen Treiben ab. „Hier gehe ich oft hin, um den Kopf frei zu bekommen, von der ganzen Arbeit“, berichtet Luzia Braun. Kaum zu glauben, dass wir eben noch zwischen Kinderwägen und Einkaufstrolleys herumgelaufen sind. Der Friedhof geht in einen verwilderten Park über. Welche Hauptstadt hat mitten in einem sehr dicht besiedelten, zentrumsnahen Bezirk solch eine wie aus dem Stadtplan und der Zeit gefallene seltsame Grünfläche?


Der Friedhof hat überdies Kurioses zu bieten: So zeigt Luzia Braun mir Deutschlands ersten Lesbenfriedhof, ein abgegrenztes Areal, reserviert nur für Frauen, die Frauen geliebt haben. Ein selbstgeschaffenes Ghetto? „Es geht nicht um Ausgrenzung, sondern um Sichtbarmachung“, so eine Vertreterin der Träger-Organisation, der SAPPhO-Stiftung. „Wir wollen uns nicht (mehr) verstecken, auch über unseren Tod hinaus und deshalb gibt es auch keine anonyme Bestattungen bei uns.“ Und: Man zieht hier eben die Wahlverwandtschaft vor, „statt wie bei Heteros und Heteras üblich, die Blutsverwandtschaft“. Der Weg in Form einer Schnecke soll den „Lebenskreislauf“ symbolisieren. Viele Gräber sind es nicht, doch man fragt sich unwillkürlich, was die Frauen, die hier liegen – mehrheitlich vor über 100 Jahren Geborene – wohl für ein Leben geführt haben, wie sie durch Nazizeit und Fünfziger Jahre-Mief gekommen sind.


Aber der Friedhof ist auch jenseits des Lesbenfriedhofs voller Geschichten: Luzia Braun kann einen schnurstracks von einem interessanten Grab zum nächsten führen. Manche Grabstätte verrät den exzentrischen Geschmack des Verstorbenen zu Lebzeiten. Kindergräber sind herzzerreißend-kitschig dekoriert. Luzia Braun weist mich auf die Sterbedaten einer Familie hin, die einen Selbstmord in den letzten Tagen vor dem Zusammenbruch des Dritten Reichs nahelegen. „Über die Familie habe ich nach einem meiner Spaziergänge hier mal recherchiert, das waren wirklich überzeugte Nazis“, erfahre ich jetzt. Keine 100 Meter weiter befindet sich das Grab eines Anhängers von Ernst Thälmann, dem ehemaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, der 1944 im Konzentrationslager Buchenwald erschossen wurde. „Hier treffen sich gelegentlich alte Genossen und singen laut das Einheitsfront-Lied“, erzählt Luzia, während ein Hüne von einem Jogger in knallorangenem Outfit an uns vorbei trampelt. Von Totenehrung und pietätvoller Stille keine Spur. Typisch Berlin halt!


Ernst Thälmann-Denkmal, Berlin | © wikipedia.org


Was Luzia Braun immer wieder an den Berlinern beeindruckt ist neben ihrer Wurschtigkeit ihre Schlagfertigkeit. „Da steige ich in einen Bus und eine junge Frau fragt den Busfahrer, wo eine bestimmte Straße läge. Der Busfahrer - Luzia senkt ihre Stimme - antwortet nur knapp: ‚Bin ick een Navi?‘“. Luzia lacht: „Da muss man mal so schnell drauf kommen!“ Die Germanistin hat noch weitere Anekdoten parat. Man merkt: Sie hat ein gutes Gedächtnis für alles, was mit Sprache zusammenhängt, kann mit schauspielerischer Leichtigkeit Dialoge wiedergeben.


Nun kommen wir noch auf Berlin als Literaturstadt zu sprechen. Für Luzia war neben ihrer Arbeit die lebendige Kulturszene ein Grund nach Berlin zu ziehen. „Es gibt einfach alles hier – Off-Geschichten und Hochkultur, direkt nebeneinander, das gefällt mir hier so“. Luzia lässt sich auch gern treiben, geht mit ihrem Mann aus dem Haus und guckt wo es sie hin verschlägt. „In Berlin geht so etwas noch – da sitzt man plötzlich bei einer Hinterhof-Lesung oder in einem Keller-Konzert.“


Eigentlich stammt Luzia Braun aus Meßkirch, einer Kleinstadt im südlichen Baden Württemberg, nahe dem Bodensee. Und, klar, sie sei schon als junge Frau vor der Enge in die große weite Welt, damals für sie: Italien, geflohen. Eine Klassenreise führte sie erstmals nach Rom, später studierte sie ein halbes Jahr in Pisa. Italien erlebte sie in jener Zeit – in den Siebzigern – als beweglicher, radikaler, offener als Deutschland. Protest war nicht nur etwas für Studenten, für Bürgerskinder - eine akademische Angelegenheit - auch die Arbeiterklasse war „viel politischer“, die feministische Bewegung auf dem Höhepunkt ihrer Zeit. In den 80ern bekam Luzia dann eine Stelle als DAAD-Lektorin an der Universität Mailand. Nach fünf Jahren begann sie journalistisch zu arbeiten und flog regelmäßig nach Mainz für ihre ZDF-Sendungen. Die italienische Sprache ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen, das Land interessiert sie sehr: Sie drehte mehrere Filme für das ZDF und den WDR über die Mafia – zum Beispiel First ladies der Mafia. Wie die Frauen der Bosse die Macht ergreifen (gemeinsam mit Petra Reski). Gefährlich war die Beschäftigung mit der Mafia für sie zwar noch nicht geworden, aber dennoch zog sie es vor, sich anderen Themen zuzuwenden.


Heimat, erzählt die Wahlberlinerin und Kosmopolitin als wir uns wieder auf der trubeligen Immanuelkirchstraße befinden, sei für sie vor allem Sprache: der weiche schwäbische Dialekt – der Dialekt in der Region um Meßkirch herum. Ich erhalte nun einen Einführungskurs in das Universum der schwäbischen Dialekte, währenddessen ich mir meiner Ahnungslosigkeit, die bis dato nur „Das Schwäbische“ kannte, bewusst werde. Und, nein, sie sei auch als Stadtmensch keine Provinzhasserin geworden, warum auch?

Ob sie selber hier schon mal aufs Korn genommen wurde, als Schwäbin? Luzia Braun grinst, „erstens bin ich geographisch Badenerin, denn Messkirch liegt in Baden und zweitens ist mir persönlich diese Polemik gegen Schwaben bisher nie begegnet!“. Für viele Berliner sei „Schwabe“ einfach jemand, der die Gentrifizierung, die Aufwertung eines Viertels oder Stadtteils, die Miet- und Kaufpreissteigerung vorantreibe. „Die Leute hier meinen eigentlich nicht die ‚Schwaben’ per se, sondern ‚Leute, die Geld haben’. Das sind manchmal Schwaben, aber oft auch Leute aus anderen Regionen. Sie verstehe den Unmut natürlich auch.

Jetzt sind wir wieder bei „Ralf’s Torten Atelier“ angelangt, diesem urigen Laden, dessen Einrichtung noch aus den Achtziger Jahren zu stammen scheint. „Man könnte noch etwas Kuchen mitnehmen“, überlegt Luzia Braun. Wir haben die Qual der Wahl zwischen „Kurt“, „Andreas“ und „Helmut“ und weiteren süßen Verlockungen. Draußen hören wir eine Mutter ihre Kinder – ganz zeitgeistig – „Cosmo“ und „Carlotta“ rufen. Luzia Braun lacht kopfschüttelnd: „Ich wohne einfach gern hier“. Dann entscheidet sie sich für den Schoko-Erdbeerkuchen „Kurt“.


Autorin: Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin (West), ist Schriftstellerin und Publizistin. Zu ihren Werken zählen die Romane Himmelskörper, Der Längste Tag des Jahres, Spielzone, Hausers Zimmer, der Essayband Morgen nach Utopia sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Sie schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für die ZEIT Online und das DeutschlandRadio und lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Copyright: Goethe-Institut China



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